ZUSTANDSBESCHREIBUNG (ETAT DES LIEUX)

Die Entscheidung, die Arbeit von Jean-François Luthy bei Andata/Ritorno auszustellen, beruht vor allem auf meiner Wertschätzung für seine sehr ungebundene Position in der modernen Kunst. In einer Zeit, in der Computer und Videos als künstlerische Medien hoch im Kurs stehen, erscheint mir eine «bescheidene» und «akademische» Ausdrucksform wie die der chinesischen Tuschekunst als ein noch eigenständiges Mittel der Moderne, mit der wir ja noch nicht fertig sind.

In meiner subjektiven Betrachtung der künstlerischen Arbeit von Jean-François Luthy sehe ich eine Besessenheit von einsamen – oder vielmehr verlassenen – Orten, von Orten, die fast schon «Nicht-Orte» und damit eine Art «no man’s land» sind. Gleich einem Raum, in dem die Natur trotz des industriellen Zeitalters die Oberhand behalten hat, wo die Spuren des menschlichen Daseins von überleben (Hütten, Flosse) zeugen oder sich als blosse Relikte modernen Komforts darstellen (alte Gartenmöbel, Schutt usw.). Doch diese einsamen Orte bergen eine geheime Präsenz. Sie werden von etwas bewohnt, das die menschliche Vorstellungskraft übersteigt, und eben deshalb könnte man sie vielleicht als «besessene» Orte bezeichnen, ganz so, als spräche man von einer «besessenen» Kreatur. So als läge das wahrhaft Bedeutsame jenseits der Dinge, die der Künstler aus seiner Position des Beobachters heraus dem Betrachter vordergründig aufdrängt.

Die Herausforderung dieser Tuschezeichnungen liegt somit darin, im schlechtesten Fall eine blosse Zustandsbeschreibung alltäglicher Orte zu geben und diese Orte bestenfalls in all ihren Zuständen zu präsentieren, ganz im Sinne von Roland Barthes, der die Gewalt des Stereotypen mit dessen «Selbstverständlichkeit» erklärt. Das Werk von François Luthy ist zwischen Zeichnung und Malerei, zwischen Licht und Schatten angesiedelt. Seine Tuschezeichnungen erinnern an die Arbeit eines Landvermessers, in der Zeit und Raum wesentliche Bestandteile bilden. Die von ihm eingenommenen Sichtweisen und Beobachtungspositionen sind ein anderer Weg, die Banalität zu kartografieren, um sie besser fassbar zu machen.

Joseph Farine, Genf, Frühjahr 2000